Der Toröffner Beifuß


Artemisia vulgaris

von Machtwurz und Gänsekraut

Für uns hat sich der Beifuß als wichtigste Räucherpflanze etabliert. Schon beim Ernten bemerken wir die stark wärmende Kraft und wenn wir des Nachts neben den trocknenden Büscheln schlafen, haben wir die intensivsten und wildesten Träume. Raphael nutzt sie zum Räuchern vor und nach Ritualen und Mela hat damit wunderbare Erfahrungen zur Förderung der Menses gemacht.

Die Essenz des Beifußes liegt für uns in der Fähigkeit, die Tore zu öffnen – auf körperlicher, geistiger und magischer Ebene. Und damit liegen wir in der Tradition indogermanischer, schamanischer Praktiken.

Ein altes Naturheilmittel

Beim Sammeln, Verreiben oder Räuchern entfaltet der Beifuß schon seine primäre körperliche Wirkung: die Förderung der Durchblutung und damit der inneren und äußeren Erwärmung. Darauf verweist auch der Volksname Mugwurz (englisch mugwort), abgeleitet vom germanischen „Mug“ – Wärmen oder Kräftigen.

Der Beiname Pilgerkraut verweist darauf, das müde Füße damit belebt werden können (was ihr wunderbar mit einem selbst angesetzten Massageöl nutzen könnt), aber sie sollen in früheren Zeiten auch angeblich unter die Sohlen gebunden worden sein, um Blasen und Wundlaufen zu vermeiden.

Auch innerlich tonisiert und hilft Beifuß dem Magen-Darm-Trakt, denn er regt die Verdauungssäfte und den Gallenfluss an. Deswegen ist er immer noch ein tradtioneller Begleiter von fetten Speisen wie zum Beispiel der Weihnachtsgans (gute Träume inklusive!).

Brauchtum: Die Pflanze durfte sogar nach dem 31. Oktober gesammelt werden, obwohl man generell die Pflanzengeister ab diesem Zeitabschnitt in Ruhe ließ. Es war die Wotansgerte (Beifuß) für die Opfergans, um sie zu weihen und zu würzen. Über die Zeit bekam sie als Martinsgerte für den klassischen Gänsebraten ihre moderne Bekanntheit.

Da besonders der Unterleib von der verstärkten Durchblutung profitiert, kann Beifuß auch krampflösend wirken. Deshalb ist es ein wirksames Frauenkraut (Frauenwurz, Hexenkraut) und unterstützt dabei, die Tore der weiblichen Organe zu öffnen, um sowohl Menses, Geburt und Nachgeburt zu erleichtern. Das Kraut kann dabei seine Kraft mächtig entfalten, deshalb sollten Schwangere auf Räucherungen oder Verzehr verzichten.

Anekdote: Bekannte von uns, die einer Hausgeburt vertraut haben, berichteten, dass die Wehen sich hinzogen. Aber als der Partner in einem anderen Zimmer (und sogar Stockwerk) ein Beifußbündel anzündete, ging es schnell voran mit der Geburt – da hatte die Gebärende noch nicht mal den Rauch wahrgenommen.

Auch in der TCM, der Traditionell Chinesischen Medizin wird der Beifuß genutzt. In fermentierter Form wird er zu kleinen Zigarren gedreht, sogenannte Moxazigaretten, um Akkupunkturpunkte sanft zu erwärmen um so das Qi in Bewegung zu bringen.

Die klassische Phytotherapie nennt Beifußwurzel auch als Mittel gegen allgemeine Reizbarkeit, Unruhe, Depression, Schlafstörungen und anderen Symptomen, die sich auf das zentrale Nervensystem beziehen.

Disclaimer: unsere Erfahrungen und Recherchen können nicht den Besuch bei einem heilkundigen Menschen ersetzen.

Inhaltsstoffe sind u.a. Bitterstoffe, ätherische Öle (Linalool, Thujon, 1,8-Cineol, Campher), Flavonoide (Quercetin, Rutin), Cumarine (Umbelliferon, Aesculetin), Polyine, Triterpene, Carotinoide.

 
Beifuß am Wegesrand
kleine Blüten und stolzer Stand
machst uns die Tore weit
uns zu begleiten stehst du bereit
Blätter sind Zweiseiter
dunkelgrün und silbergrau
machst uns die Mens leichter
und auch die Traumschau
— Erntelied · Mela · 2019

Geistige und magische Welt

Beifuß ist ein starkes Oneirogen (von gr. oneiros „Traum“ und gen „kreieren“), das heißt, eine Substanz, die Träumzustände induziert oder verstärkt. Dabei kann Beifuß getrunken, verräuchert oder geraucht werden, oder als Aufguss verwendet, wie es zum Beispiel in Korea üblich ist.
Beifuß wird nachgesagt, besonders immersive, lange und wilde REM-Träume zu begünstigen, aber auch den hypnagogischen Zustand zwischen Wachen und Schlaf. Auch für Menschen, die mit außerkörperlichen Erfahrungen experimentieren möchten, soll es geeignet sein.
Wer also seiner Traumwelt ein wenig nachhelfen möchte, kann seiner Tabakmischung ein bisschen Beifuß beimengen und muss nicht gleich auf exotische Traumkräuter zurückgreifen.

Traumsäckchen: Es bietet sich an, ein einfaches Kräutersäckchen mit Beifuß zu machen (je frischer, desto intensiver) das du nachts in deine Nähe legst. Du kannst die Wirkung mit 1-2 Tropfen ätherischem Öl verstärken und wenn du ruhige und schöne Sphären bevorzugst, kannst du Rose und Lavendel ergänzen. Sollte das Säckchen nach einer Weile nicht mehr duften, kannst du es knautschen und mit dem Atem oder mit deinem Körper etwas befeuchten, um die ätherischen Öle wieder zu aktivieren.

Oneirogene werden in schamanistischer Tradition in vielen Kulturen verwendet, um verschiedene Ebenen der „anderen“ Welten zu bereisen, wie Reise-Erfahrene berichten.
Dass diese Verwendung auch hierzulande weit zurückreicht, zeigt sich unter anderem daran, dass im Nordischen der Beifuß Odin geweiht ist, der als Schamanengott die 9 Welten bereist.

Dass der Beifuß meist zum Räuchern genutzt wurde, wird auch am Beinamen „Rauchwurz“ sichtbar. So können wir reinigen, schützen aber vor allem die Tore zur inneren und Anderswelt öffnen. Das heißt, wir können besser in uns selbst eintauchen, ins Unterbewusste und so kann Beifuß ein freundlicher Begleiter zur Divination, Orakel und Weissagung sein.
Bei Reisen in die schamanischen Anderswelt ist Beifuß neben Rassel (oder Rahmentrommel) ein unverzichtbaren Begleiter zum Kreisziehen und Toröffner.

Benannt ist der Korbblütler nach Artemis, der griechischen Göttin der Jagd, des Waldes, verbunden mit dem Aspekt der Geburt, als Hüterin der Frauen & Kinder. Im Ägygptischen Pantheon ist er der Isis geweiht; sie Göttin der Geburt, der Wiedergeburt und der Magie, aber auch Totengöttin.
Auch dies spiegelt sich in der Wirkung und Verwendung von Beifuß nieder. Wie bei der Geburt, kann er auch beim Tod ein sanfter Übergangsbegleiter sein und das Loslassen erleichtern. Es gab sogar Zeiten, in denen die Toten auf Beifuß gebahrt wurden.

Brauchtum: „Trockener Beifuß , das heilsame, ,heiße‘ Kraut, das auf der ganzen nördlichen Hemisphäre in den Mittsommerfesten eine sakrale Rolle spielt, kam in das Feuer, so dass eine hohe, helle, violette Lohe entstand. (…) … Man sprang, bloß mit Beifuß umgürtet, einen Gundermannkranz in den Haaren und etwas Eisenkraut in der Hand, durch die reinigenden Flammen von der einen Jahreshälfte in die andere.“ —1

„Als Schutzkraut diente Beifuß in vielerlei Hinsicht, so nannte man ihn auch hin und wieder Teufelsflucht, und hing das geweihte Kraut in die Viehställe gegen allerlei dämonische Widrigkeiten und Hexerei. Ins Wohnhaus gehängt vertrieb er den Teufel und vor der Türe aufgehängt, verwehrte er allem Übel den Eintritt und an den Dachfirst gehängt, konnte der Blitz nicht einschlagen.“ —2

Die vielgestaltigen Aspekte in Mythologie und Verwendung, zeigen uns, wie stark uns Beifuß mit unserer kulturellen Geschichte, unseren spirituellen Wurzeln verknüpft. Auch in der Stille der Rauhnächte, in denen unsere Ahn:innen uns besonders nah sein und uns unsere Geschichte flüstern können, wird immer noch traditionell Beifuß zusammen mit anderen Sommerkräutern verräuchert, um den Kontakt zu erleichtern.

So wollen wir mit dem Neunkräutersegen unsere Gedanken zum Beifuß abschließen:

„Erinnere dich, Beifuß, was du verkündet hast,
was du bekräftigt hast bei der großen Versammlung.
Una heißt du, ältestes Kraut.
Du hast Macht für 3 und gegen 30,
du hast Macht gegen Gift und gegen fliegendes Gift,
du hast Macht gegen das Übel, das über Land fährt." —3



Solltest du nun selbst Beifuß ernten gehen wollen, wollen wir dir ans Herz legen, der Pflanze mit Respekt zu begegnen und sie zu fragen, ob sie gerade jetzt von ihrem Platz genommen werden will. Ein einfaches Berühren wird reichen, um dir ein klares Ja oder Nein zu geben. Zum Beispiel direkt als Gedanke oder als weiches oder hartes Gefühl im Bauch, achte hierbei auf den ersten Impuls.
Und es ist ein wunderschön nachhaltiger Brauch, nur Mengen des Eigenverbrauchs zu ernten sowie die prächtigsten Pflanzen stehen zu lassen – einmal, um Nahrungsquellen und Wohnraum der Insekten zu erhalten und damit wir in der nächsten Generation noch widerstandfähigeren, schöneren Beifuß ernten dürfen.

Quellen

1 – Müller-Ebeling, et.al., 1998, S. 19
2 – Höfler, 1908, S. 74
3 – aus dem Neunkräutersegen
Heilsames Räuchern mit Wildpflanzen, Adolfine Nitschke
Heilpflanzenpraxis heute, Bäumler
ethnobotanik-weiterbildung.uzh.ch
Liminal Dreaming, Jennifer Dumpert
Rahmentrommelbau, Janine Jabs

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